Selbstverteidigung ist die Anwendung des Wissens um die Kampfkunst: die alltäglichen Konflikte des Lebens erkennen und mit den Konflikten umgehen. Das Grundprinzip der Selbstverteidigung ist die Deeskalation. Die Eigenschaften der Selbstverteidigung sind das Erkennen von Situationen, die Analyse des eigenen Verhaltens sowie des Verhaltens des anderen und die daraus resultierende Steuerung der Eskalation.
Als Selbstverteidigung werden die Vermeidung
und die Abwehr von Angriffen auf die seelische oder
körperliche Unversehrtheit eines Menschen bezeichnet.
Khaleghl Quinn
Das Bedürfnis, sich mit Selbstverteidigung zu beschäftigen, dient dem der Schutz der Seele, denn Übergriffe jeglicher Art verletzen immer die Seele. Ein Angriff kann Auslöser für Gefühle wie Ohnmacht und Hilflosigkeit sein. Diese Gefühle beschädigen das eigene Selbstverständnis, verstärken das Minderwertigkeitsgefühl und erzeugen darüber Angst und Depressionen – Verletzungen der Seele in Folge der Ohnmacht angesichts des Übergriffs, dem man schutzlos ausgeliefert war. Während körperliche Wunden meistens verheilen, bleiben die seelischen Schäden oft bestehen. Es wird dann versucht, solche seelischen Verletzungen mit psychiatrischen Therapien zu heilen oder zu mildern.
Auch das eigene Selbstverständnis wird durch An- und Übergriffe beschädigt, denn Selbstwert und Selbstbewusstsein sind von diesen direkt betroffen. Anders aber verhält es sich, wenn man Fähigkeiten besitzt, sich zu schützen, wie beispielsweise ein Kampfsportler. Der Kampfsportler weiß sich gegen körperliche Übergriffe zu wehren und kann einen Angreifer vielleicht sogar besiegen. Die seelischen Folgen sind sehr viel geringer, womöglich treten sie auch überhaupt nicht ein, weil der Kampfsportler mit dem Wissen um den Kampf vertraut ist. Mit elementarem Hintergrundwissen ist die mentale Einstellung des Angegriffenen eine andere. Daher ist es für die körperliche und seelische Selbstbehauptung elementar, dass die Kenntnis des eigenen Selbst auch das Wissen über Sozialpsychologie, das Wissen um den Konflikt und um die eigenen Fähigkeiten miteinschließt. Dadurch erlangt man die Selbstbefähigung, seine Seele zu schützen.
Wer sein Wissen in die Praxis umzusetzen vermag, wird gewinnen. Der sie aber nicht kennt und nicht anwenden kann, wird unterliegen.
Fernöstliche WeisheitDas fehlende Wissen um den Konflikt, die eigene Konfliktfähigkeit und die Selbstfindung spiegelt sich auch in den Ausbildungskursen zur Selbstverteidigung wider.
Du kannst nicht im Schreiben und Lesen unterrichten, wenn du es nicht selber kannst; viel weniger lehren, wie man recht
leben soll, wenn du es nicht selber tust.
Marc Aurel
Fokussiert wird bei konventionellen Selbstverteidigungskursen primär auf die Abwehr körperlicher Angriffe. Zur Früherkennung von Angriffen oder Übergriffen werden Situationen nachgestellt und zur Steigerung der Konfliktfähigkeit Stresssituationen erzeugt, damit die Trainierenden ein Gefühl für diese Situationen bekommen, ihr eigenes Verhalten beobachten und Erfahrungen sammeln können.
Ohne Wissen fehlt dem Können der Fokus.
Ohne Können fehlt der Kraft der Ansatzpunkt und
ohne Kraft kann Wissen nicht angewendet werden.
Leibarzt Alexanders des Großen
Wenn der Schutz vor und die Vermeidung von Angriffen auf die Seele das Grundbedürfnis darstellen, ist eine Ausbildung im Selbstschutz die bessere Wahl als in Selbstverteidigung. Verteidigung setzt immer den Zustand eines gerade stattfindenden Angriffs oder Übergriff voraus. Ein Schutz ist eine Vorbereitung auf einen möglichen Angriff. Über die Vermeidung und Abwehr wird versucht, einen Angriff schon im Vorfeld abzuwenden. Solche Strategien und Taktiken bauen auf das frühzeitige Erkennen der Konflikteskalation auf. Bei einer Verschärfung von Konflikten verstärken sich auch die Schutz-, Verteidigungs-, und Abwehrmaßnahmen. Bei plötzlichen Übergriffen sind Menschen ohne Erfahrung nicht in der Lage, sich angemessen wehren zu können. Im ersten Augenblick eines Angriffs verfällt man automatisch in eine Krise.
Selbstverteidigung ist die Fähigkeit, vom Alltagsmodus in den Modus „ich habe es mit einem aggressiven Angreifer zu tun“ umzuschalten.
Ist man vom Angriff überrascht, zeigt sich die mangelhafte Vorbereitung: weder Schutz-, Abwehr- noch Verteidigungsmaßnahmen sind getroffen worden.
Wenn du nicht davon ausgehst, dass sich dein Gegner aggressiv verhält, werden, wenn du gleich zum Auftakt des Kampfes stürmisch angegriffen wirst, sämtliche Techniken, die du erlernt hast, unnütz.
Miyamoto Musashi
Die Erwartung der Trainingsteilnehmer an den Ausbilder beim Selbstverteidigungskurs stimmen oft nicht mit den Inhalten des Kurses überein. Erwartet wird häufig, dass man nach den Kursen eine Art Zaubertechnik erlernt hat. Diese Technik soll am besten jeden Angriff leicht und ohne großen Aufwand abwehren und zum Sieg über den Gegner führen. Die Teilnehmer kurzer Kurse oder Seminare sind meistens nicht willens, sich intensiver mit dem Thema Selbstverteidigung oder Selbstschutz zu beschäftigen. Dies zeigen Aussagen wie: „Ich war schon einmal in einem Selbstverteidigungskurs und weiß, wie man sich verteidigt.“ Es fehlt oft die Bereitschaft, sich z. B. auch mit verbalen Angriffen und (De-)Eskalationsformen auseinanderzusetzen. Auch verbale Angriffe zielen auf das Selbstbewusstsein und den Selbstwert und stärken Minderwertigkeitsgefühle. Es bedarf des Wissens um den Schutz von Selbstbewusstsein und Selbstwert.
Angriffe und Übergriffe kommen im menschlichen Zusammenleben ständig vor und man kann sich ihnen selten entziehen. Solange es Menschen mit eigenen Interessen gibt und sie diese durchsetzen, werden immer Angriffe und Übergriffe stattfinden.
Ich kann in Edelmut versinken, wenn ich
stets dem Anderen die Vorfahrt lasse.
Kampfkunst als LebenswegWer sich mit der Lehre der Kampfkunst auseinandersetzt, erwirbt Fähigkeiten, sich zu schützen, zu verteidigen und Angriffe abzuwehren. Es ist, wie George Burr Leonard in „Der lange Atem“ beschreibt, der alltägliche Weg zur „Meisterung des Alltäglichen“.
Mein Alltagsleben ist sehr gewöhnlich, doch ich lebe in völliger
Harmonie mit ihm. Ich klammere mich an nichts, weise nichts
von mir, es gibt weder Hindernisse noch Konflikte.
ZEN-Meister Laymann P’ang (ca. 740-808)
Der erlernte Selbstschutz bedeutet Schutz vor anderen Menschen und auch Schutz vor sich selbst, etwa vor Manipulation und Indoktrination durch z. B. Medien und Werbung. Schutz vor Konsum und Suchtmitteln, Schutz vor Arroganz und Überheblichkeit, Schutz vor körperlichen Verletzungen durch Selbstverschulden. George Burr Leonard formuliert es so: „Menschen verletzen sich körperlich bei ihren Übungen, weil sie im hohen Maße zielorientiert sind. Sie eilen sich selbst voraus. Weil sie nicht mitbekommen, was in ihrem Körper im hier und jetzt vor sich geht. Die beste Methode ein Ziel zu erreichen ist, völlig präsent zu sein. Das Überschreiten bisheriger Grenzen wird durch einen behutsamen Umgang mit dem Körper erreicht und nicht, indem seine Botschaften ignoriert werden oder man sich über sie hinwegsetzt. Behutsamkeit erfordert Bewusstsein. Verletzungen zu vermeiden, heißt nicht in erster Linie, vorsichtig zu sein, sondern vielmehr bewusst zu sein.“
Am Ende steht die Selbstverteidigung. Anders ausgedrückt: die Verteidigung seines Selbst und somit seines Standpunkts, der durch die eigene Moral, Normen Werte gebildet wird.
Selbstverteidigung ist unmittelbar und schnörkellos!
Samurai Miyamoto Musashi
Natürlich sind auch konventionelle Selbstverteidigungskurse wichtig, denn der körperliche Kampf ist ein wichtiger Bestandteil des Prinzips Selbstverteidigung. Ebenso die Ausbildung des Kampfgeistes, denn ohne Kampfgeist ist Kampfkunst/Selbstverteidigung nicht denkbar.