Bewusstsein

Das menschliche Bewusstsein beginnt mit der Wahrnehmung von Informationen. (Eine Information muss wahrgenommen werden, sonst ist es keine Information; siehe Kapitel „Kommunikation“.) Die wahrgenommenen Informationen werden durch die persönlichen Erwartungen und vorhandenes Wissen gewertet, gedeutet und kategorisiert. Anschließend werden Emotionen generiert. Das menschliche Bewusstsein ist eine Wechselwirkung zwischen Wahrnehmung und Emotionen.

Das menschliche Gehirn produziert Gedanken, so wie die Lungen dem Atmen dienen. Diese ständige Produktion von Gedanken hat ihren Preis. Das Gehirn benötigt etwa ein Fünftel des gesamten menschlichen Energiehaushaltes. Der menschliche Organismus hat sich auf die Nahrungsknappheit der Ur-Zeit eingestellt, dies gilt auch für das Gehirn, das mit einer Art Energiesparmodus ausgestattet ist. Dies zeigte ein Experiment von Matthieu Ricard, einem buddhistischen Mönch und promovierten Molekularbiologen. Bei Ricards Versuch wurden die Gehirnaktivitäten bei verschiedenen Bewusstseinszuständen aufgezeichnet und evaluiert. Bei den Zuständen „offene Präsenz“ – dem klarsten Zustand – und „induzierte kognitive Opazität“ – dem denkbar stumpfsinnigsten Zustand – wurde zwischen den jeweiligen Intensivitäten der Gehirnaktivität ein Unterschied von 30 % gemessen. Den Zustand, welchen das menschliche Gehirn anstrebt, um am wenigsten Energie zu verbrauchen, bezeichnet der Gehirnforscher Gerald Hüther als „kohärenten Zustand“ oder „Kohärenz“. Laut Hüther werden Menschen die Kohärenz in ihrem Leben nie erreichen. Es wäre der Zustand, in dem der Mensch stirbt. Solange der Mensch hingegen lebe, sei das menschliche Gehirn damit beschäftigt, über Denkprozesse Lösungen zu finden. Vor dem Hintergrund des Energiesparmodus bediene sich das Gehirn hierzu eher kurzfristiger Lösungen, indem es einen niedrigen Bewusstseinszustand anstrebt und dabei komplizierte Denkprozesse beziehungsweise einen hohen Bewusstseinszustand vermeidet.

Alle Menschen glauben, ihr Bewusstsein zu erkennen
und nutzen zu können, doch haben nur wenige das wahre
Bewusstsein erlangt. Die Zeichen solcher Mangelhaftigkeit
sind für alle wirklichen Wahrnehmenden eindeutig zu sehen.
Yagyū Munenori

Die Bevorzugung kurzfristiger Lösungen geht so weit, dass diese sich langfristig negativ oder sogar katastrophal auswirken können. Ein kleines Beispiel: Kinder sollen ihr Zimmer aufräumen, aber anstatt alles ordentlich wegzuräumen, werden die Spielsachen lediglich unter das Bett geschoben. Für diese Art aufzuräumen, werden keine großen Denkprozesse benötigt, das spätere Problem wird aber vergrößert. Eine andere kurzfristige Lösung, die in einer Katastrophe enden kann, ist etwa der Gebrauch von Suchtmitteln.

George Burr Leonard, Träger des schwarzen Gürtels fünften Grades im Aikido, schreibt in seinem Buch „Der längere Atem. Die Meisterung des Alltäglichen“: „Unser Denken wird dermaßen von Zielen, Resultaten und schnellen Lösungen in Anspruch genommen, dass wir auf diese Weise von unserem eigenen Erleben getrennt werden. Um es drastischer auszudrücken, berauben wir uns selbst um unzählige Stunden unseres Lebens. Wir wachen morgens auf und ziehen uns schnell an, das Anziehen selbst ist dabei nicht wichtig. Wir essen etwas schnell, damit wir aus dem Haus kommen können. Das Frühstücken selbst ist dabei nicht wichtig. Wir beeilen uns zur Arbeit zu kommen. Der Arbeitsweg selbst ist dabei nicht wichtig. Möglicherweise ist unsere Arbeit interessant und befriedigt uns und wir müssen sie nicht nur ertragen, während wir auf die Mittagspause warten, und unter Umständen, haben wir beim Mittagsessen eine schöne Begegnung mit einer faszinierenden Unterhaltung. Vielleicht aber auch nicht.“ Leonard beschreibt hier, in welchem Bewusstseinszustand Menschen ihren Alltag bestreiten: mit geringer Aufmerksamkeit, wartend und hoffend auf ein Ereignis. Automatismen und koordinierte Reflexbewegungen spielen weitere Rollen bei den alltäglichen Bewusstseinszuständen. Automatismen sind Lernerfahrungen, die sich durch das ganze menschliche Leben ziehen. Zum Beispiel das Trinken aus einer Tasse. Niemand denkt darüber nach, wie man eine Tasse anfasst, zum Mund führt und trinkt. Diese Handlungen lernen Menschen im Kindesalter. Solange nichts Ungewöhnliches passiert, können Menschen auch im Halbschlaf aus einer Tasse trinken. Der Bewusstseinszustand verändert sich beispielsweise erst, wenn die Tasse oder der Kaffee zu heiß sind und man sich die Finger oder den Mund verbrennt.

Klebt dein Bewusstsein an einer Kleinigkeit
oder an einer Nebensache fest, versäumst du das
Wesentliche und erleidest eine abrupte Niederlage.
Yagyū Munenori

Diese Veränderungen des Bewusstseins kann man oftmals bei unvorhergesehenen oder plötzlich auftretenden Ereignissen beobachten. Existieren Automatismen oder schnelle Lösungen für ein plötzliches Ereignis, ist das Ereignis selbst kein Problem. Entsprechende koordinierte Reflexbewegungen können antrainiert werden, beispielsweise von einem Boxer, der bei einem Boxschlag seine Deckung automatisch schließt. Fällt eine Tasse herunter, wird die Tasse aufgefangen, das Auffangen der Tasse ist ein Reflex.

Etwas, was vom Tisch fällt und gefangen wird, ist eine
Nichtentscheidung, für eine Entscheidung hätte man keine Zeit.
Fernöstliche Einsicht

Landet die Tasse auf dem Fußboden und zersplittert, erleben Menschen zuerst eine Schrecksekunde. Erst dann setzen Denkprozesse zum Lösen der Situation ein. Finden Ereignisse statt, für die der Mensch keine schnellen Lösungen parat hat, entsteht ein Problem oder es kommt zu einer Krise.

Als Ausgleich zu seiner Arbeit benötigt das Gehirn Ruhephasen. Schlaf ist die erste Option. In den verschiedenen Schlafphasen werden bewusste und unbewusste Erfahrungen verarbeitet. Mittlerweile sind Meditation und Hypnose in Europa als Ausgleich für den Geist und die Seele angekommen. Anders als in Europa gehören Religion und Spiritualität zum asiatischen Alltag. Die Spiritualität wird in Form von Ritualen und Meditation gelebt. Im asiatischen Raum, wo Buddhismus, Daoismus und Zen die vorherrschenden Glaubensrichtungen sind, diskutieren die Menschen darüber, was der menschliche Geist oder auch das menschliche Bewusstsein ist. Diese Grundsätze sind prägend für die Kampfkünste in den asiatischen Ländern.