Erfahrung erzeugt Erwartung

Menschen lernen durch Probieren und Scheitern – „Trial and Error“ – und dies solange, bis das erwünschte Ergebnis eintrifft. Durch die ständigen Versuche werden Erfahrungen aufgebaut. Über die gesamte Lebensspanne betrachtet, dürften Menschen sehr viel häufiger scheitern als sofortige Erfolge erzielen. Aus dem ganzen Pool an Erfahrungen entstehen Erwartungen, eine Vorstellung zukünftiger Ereignisse. Schließt man beispielsweise eine Tür auf, ist die Erfahrung und somit die Erwartung, dass sich die Tür öffnet.

Erfahrung führt zu Erwartung = Erwartungshorizont

Trifft das erwartete Ereignis nicht ein, ist der Mensch enttäuscht, beispielsweise wenn bei Online-Bestellungen eine zeitnahe Lieferung vorausgesetzt wird und die Ware aber später ankommt. Enttäuschung entsteht auch, wenn das Produkt nicht so ist, wie im Angebot beschrieben. Menschen sind von Menschen enttäuscht, sollte die Erwartung einer bestimmten Handlung nicht erfüllt werden: „Ich dachte, Du hättest dieses oder jenes erledigt!“ Hier zeigt sich die eigene Vorstellung, die oft als Vorwurf formuliert wird. Um es klar auszudrücken: Kein Mensch auf dieser Welt existiert, um die Vorstellungen anderer, sondern nur um die eigenen zu erfüllen. Das eigene Ego steht im Vordergrund. Menschen helfen anderen Menschen, wenn ein Bedürfnis, anderen Menschen zu helfen, existiert. Um menschlichen Enttäuschungen vorzubeugen, sollte man seine eigenen Erwartungen an andere Menschen herunterschrauben. Der Erwartungshorizont hat aber auch positive Seiten. Er ist der Grund, warum Witze funktionieren. Die Pointe eines Witzes ist eine plötzliche Erkenntnis von sinnhaften Zusammenhängen, die nicht erwartet wurden. Manche Menschen finden Witze nicht witzig, sondern werten den Witz durch die eigenen Erfahrungen ab.

Die eigenen Erwartungen prägen die eigene Realität. Menschen, die in denselben Kulturkreisen leben, haben meist auch die gleichen Erfahrungen und Erwartungen, weil sie der gleichen Bildung hinsichtlich Werte, Moral und Normen unterliegen. Beispielsweise haben Menschen im westlichen Kulturkreis ein festes Bild von einem Arzt, weißer Kittel und Stethoskop. Treffen Menschen aus unserem Kulturkreis in einer Arztpraxis auf einen Arzt, der nicht so gekleidet ist, wie sie es sonst von einem Arzt kennen und erwarten, so identifizieren sie ihn nicht als solchen. Hier setzen in unserem Alltag Werbung und Propaganda an, die gezielt die Erwartungen von Menschen manipulieren.

Ein weiteres Beispiel ist das Experiment „Pearls Before Breakfast“ mit dem Stargeiger Joshua Bell vom 2. Januar 2007. An diesem Tag spielte Bell auf seiner Stradivari-Violine in der U-Bahn-Station L’Enfant Plaza in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington. 43 Minuten lang bot er Musikstücke von Johann Sebastian Bach und Franz Schubert dar. Nur sieben von 1097 Menschen blieben stehen, um zuzuhören, denn niemand konnte erwarten, dass ein Stargeiger morgens in einer U-Bahnstation spielen würde. Jeder Passant war in seiner Realität und seiner Gedankenwelt unterwegs. Über Erwartungen definiert der Mensch eine Wahrscheinlichkeit. Aber auch wenn Ereignisse sehr unwahrscheinlich sind, können sie dennoch eintreten wie beispielsweise Taschendiebstahl oder Übergriffe. Durch ihre Automatismen und verschiedenen Bewusstseinszustände sind Menschen auch in der Öffentlichkeit solange lethargisch unterwegs, bis etwas Außergewöhnliches geschieht. Erst wenn dieses Außergewöhnliche geschieht, ändert der Mensch seinen Bewusstseinszustand und nimmt mehr von der Außenwelt wahr. Für die eigene Selbstverteidigung sollte man sich dieses Problems immer wieder bewusst werden.

Seien Sie aufmerksam, wenn Sie sich im öffentlichen Raum bewegen, nehmen Sie die Chance wahr und studieren Sie die Menschen. Beobachten Sie, wie Menschen sich geben, kleiden. Studieren Sie deren Gestik und Mimik. Sie wissen doch: „Die unerwarteten Ereignisse treffen immer dann ein, wenn man sie nicht erwartet.“

Bei Frieden an Krieg Denken.
Niccolò Machiavelli

Man soll nicht paranoid werden, aber sich dennoch klar machen, dass ein Übergriff ständig und überall passieren kann. Sei es ein körperlicher Angriff oder dass ein Taschendieb zuschlägt. In der Öffentlichkeit sind nicht nur nette Menschen unterwegs, die Gauner sind es auch.