Gewinnen und Verlieren

Der Mensch ist zum Kämpfen geboren und auf Konfrontation programmiert. Menschen tragen einen überlebenswichtigen Instinkt in sich, denjenigen, sich mit anderen Menschen zu messen. Treffen Menschen aufeinander, dann bewerten, beurteilen, prüfen und kategorisieren sie sich gegenseitig. Diesen permanenten Konkurrenzkampf kann man bei Geschwistern genauso beobachten wie überall, wo Wettbewerbe stattfinden. Tief in der menschlichen Natur ist der Instinkt des Wettbewerbs mit dem Instinkt zu gewinnen verankert. Für den Menschen ist es eine überlebenswichtige Triebfeder. Steht bei einem Wettkampf, etwa beim Boxen, ein Wettkämpfer kurz vor dem Sieg, sorgen Kopf und Körper dafür, dass der Sieg sich fantastisch anfühlt. Der Blick des Wettkämpfers schärft sich, Reflexe werden schneller und es entsteht ein Gefühl der Unschlagbarkeit. Verantwortlich dafür sind die körperlichen Botenstoffe Dopamin und die Endorphine. Diese sorgen für Euphorie, gleichzeitig blockieren sie das Schmerzempfinden. Adrenalin und Testosteron werden im Körper freigesetzt, die Atemzüge werden tiefer, der Puls steigt. Der höhere Puls, das Adrenalin und das Testosteron sorgen für eine schnelle Erholung. Deshalb sieht man dem Sieger eines Wettkampfes seltener eine Erschöpfung an – der Verlierer hingegen sieht niedergeschlagen und erschöpft aus. Das Gefühl verloren zu haben, ist ein sehr viel nachhaltigeres Gefühl als die Erfahrung zu gewinnen. Diese schmerzhafte Erfahrung prägt sich mehr ein als ein Sieg. Verlieren fühlt sich einfach schrecklich an. Das Belohnungssystem, die Endorphine werden ausgeschaltet. Fehlende Endorphine führen auf emotionaler Ebene zu einer Abwärtsspirale, die sich dann auch physisch negativ auswirkt. Erschöpfung und Schmerz spürt man in jeder Faser des Körpers. Realisiert der Mensch, dass er verliert, wird das Stresshormon Cortisol in den Körper abgegeben. Trifft Cortisol auf Adrenalin, wird der Mensch unruhig und bekommt Angst. Wenn die Niederlage katastrophal ist, setzt eine primitive Reaktion ein: Der Mensch erstarrt vor Angst. Diese Reaktion ist so alt, dass sie auch bei Reptilien vorkommt. Alle Körperfunktionen, die nicht lebenswichtig sind, werden deaktiviert, um das Gehirn zu schützen. Der Vagusnerv verlangsamt den Herzschlag, das Blut wird aus dem Magen abgezogen und die Muskeln erschlaffen. Es folgt ein Kontrollverlust über die Gliedmaßen. Im Gehirn wird der Hippocampus stimuliert, sodass diese Niederlage niemals vergessen wird. Diese Komponenten erzeugen einen schmerzhaften Lerneffekt, damit man diesen Fehler nicht wiederholt. Diese instinktive Angst vor dem Versagen bewirkt, dass um jeden Preis versucht wird, ein Scheitern zu vermeiden. Für manche Menschen ist Scheitern so schlimm, dass ihre Handlungen teilweise nicht mehr logisch und für klardenkende Außenstehende nicht nachvollziehbar sind. Es besteht die Angst sich vor anderen lächerlich zu machen und den eigenen Ruf zu verlieren. Das eigene Ansehen und Bild in der Öffentlichkeit ist für den Menschen ein wichtiges Bedürfnis.

Vorausschauendes Denken und sich in andere Menschen hineinzuversetzen sind für das Wettbewerbsdenken enorm wichtig. Dadurch ist man in der Lage, den anderen einzuschätzen und sein Handeln zum eigenen Vorteil auszunutzen. Eine andere Möglichkeit, sich Vorteile gegenüber anderen Menschen zu verschaffen, ist, auf Bündnisse einzugehen. Bündnisse und Loyalität halten, solange Erfolg vorhanden ist.

Unsere Instinkte sagen uns, wann es sich lohnt zu kämpfen und wann nicht. Wir schätzen das Potenzial unseres Rivalen in Bruchteilen von Sekunden ein und, wenn wir gute Chancen haben zu gewinnen, gehen wir einen Wettstreit ein. Haben wir keine oder nur eine geringe Chance zu gewinnen, versuchen wir eine Auseinandersetzung zu vermeiden. Früher hat eine Niederlage den Tod bedeutet.

Spaß an einem Wettstreit haben wir nur, wenn wir auf ähnlichem Niveau sind. Wir signalisieren unsere Überlegenheit, damit andere Menschen es nicht wagen, sich mit uns in einen Wettstreit zu begeben.

Hierzu ein paar illustrierende Ansichten des Wahrnehmungspsychologen und Kognitionswissenschaftlers Rainer Mausfeld:

  • Die Spezies Mensch ist von unbegrenzter Kreativität und Vielfalt hinsichtlich ihrer geistigen Leistung.
  • Die Spezies Mensch ist von unbegrenzter Aggressivität, alle anderen Spezies sind selbstlimitierend.
  • Sie hat mehr Spezies ausgerottet als andere Spezies.
  • Die Spezies Mensch hat auch mehr von Ihresgleichen getötet als jede andere Spezies.
  • Sie befindet sich seit mehr als 100.000 Jahren im Krieg untereinander, ist offensichtlich friedensunfähig.
  • Sie hat einen unersättlichen Hunger nach Macht.
  • Die Spezies Mensch weist eine Diskrepanz zwischen der Einsicht, ihren deklarierten Werten und ihrem Handeln auf.
  • Friedliches Handeln ist nur durch kulturelle Schutzmechanismen zu entschärfen.
  • Was wir wahrnehmen und erkennen, wird durch die natürliche Begrenzung unserer Sinneswerkzeuge und unseres Geistes bestimmt. Wir als Gattung können durch die Beschaffenheit unseres Geistes nur einen klitzekleinen Ausschnitt der Realität wahrnehmen.
  • Wenn wir uns über die Welt verständigen wollen, müssen wir uns stets dieser natürlichen Begrenzung bewusst sein.
  • Wir neigen dazu, die Grenzen unserer Welt für die der ganzen Welt schlechthin zu halten.
  • Wir neigen dazu, unsere Gewohnheiten für Überzeugungen zu halten. (Das Problem liegt im Dialog – es liegt an dem anderen, ob er unsere Überzeugungen annimmt.)