Gruppen und ihre Konflikte

Sobald Menschen zusammenkommen, bilden sie, als soziale Wesen, Gruppen. Soziale Gruppen lassen sich vielfältig differenzieren: Familie, eine Schulklasse oder Arbeitsgruppe. Die Hauptkategorien sind Primär- oder natürliche Gruppen und Sekundärgruppen. Zu einer Primär- oder natürlichen Gruppe gehört ein Mensch zwangsläufig, zum Beispiel zur Familie. Kinder werden in die Gruppe „Familie“ hineingeboren. Gruppen im Bereich Schule oder Firma gehören in den Bereich der Sekundärgruppen. Die für den Menschen prägendste Gruppe aber ist die Familie. Die Familie hat den nachhaltigsten Einfluss auf das weitere Leben eines Menschen. In der Familie lernt der Mensch Verhaltensmodelle, die er zur Anpassung an andere natürliche Gruppen benötigt. Auch für Kleinkinder gilt schon in der Familie ein Wertesystem von Geben und Nehmen. Als Baby und Kleinkind erhält das Kind Liebe und Geborgenheit. Der Gegenwert ist die Existenz des Kindes und als Zugabe schenkt das Kind den Eltern ein Lächeln und eine volle Windel. Für das Kind folgt mit der Zeit eine Anpassung an die etablierte Gruppennorm und deren Einhaltung. Für die Normentsprechung erwartet das Kind von der Gruppe einen Gegenwert: Schutz, Hilfe, Belohnung und Anerkennung durch die Gruppe. Konflikte entstehen in einer Gruppe, wenn das Wertesystem von Geben und Nehmen unausgewogen ist. Gruppen sind dynamisch und verändern sich. Eine Veränderung von Gruppen findet statt, wenn Mitglieder die Gruppe verlassen oder wenn neue Mitglieder hinzukommen. Ein weiterer Grund für Veränderung in der Gruppe sind diejenigen Menschen, die sich selbst verändern. Verändert sich ein einzelner Mensch, betrifft das die ganze Gruppe. Zum Beispiel wenn Kinder in die Pubertät kommen. Jugendliche versuchen ihren Status in der Gruppe zu erhöhen und Ziele der Gruppe mitzubestimmen oder sie distanzieren sich. Distanziert sich ein Jugendlicher, erfüllt er die Gruppennorm aber in der Regel noch zu einem Mindestmaß, um nicht aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Der Ausschluss aus einer Gruppe ist eine menschliche Urangst. Diese Urangst rührt daher, dass in Urzeiten ein Ausschluss aus der Gruppe oft den Tod bedeutete, weil Hilfe und Schutz der Gruppe nicht mehr gegeben waren.

Jede Gruppe unterliegt einer Gruppendynamik, die sich auf zwei Ebenen abspielt. Die erste Ebene ist das sichtbare Verhalten und die zweite das unbewusste Verhalten unter den Gruppenmitgliedern. Beim unbewussten Verhalten dreht sich alles um unausgesprochene Erwartungen, Kämpfe, Erprobungen, um Status und Prestige. Es finden unbewusst Kämpfe in der Hierarchie um Positionen in der Hackordnung statt. Die höchste Position in der Hierarchie nimmt das Oberhaupt ein. Das Oberhaupt einer Gruppe ist immer deren Meinungsbilder. Ist das Oberhaupt schwach, wird es beständig attackiert und in Frage gestellt. Durch Kämpfe unterhalb des Oberhauptes wird die Hackordnung festgelegt – wer darf wen hacken? Das Oberhaupt steuert die Hackordnung durch Lob und Tadel. Diese Gunst- oder Ungunstbezeugungen reflektieren wiederum die Beziehung zwischen Oberhaupt und den einzelnen Gruppenmitgliedern und determinieren sie neu. Herrscht eine Unordnung in den Beziehungen, resultiert daraus zumeist auch eine Unordnung in der Hierarchie. Wenn in der Gruppe „Familie“ ein Kind von einem Elternteil auf der Beziehungsebene über das andere Elternteil gestellt wird, kommt es zu einer Unordnung in der Hierarchie oder in der Partnerschaft der Eltern. Durch zu viel Machtausübung des Oberhaupts, sind Konflikte vorprogrammiert.

Gruppen sehen verschiedene Arten von Rollen vor, beispielsweise aktive und passive. Eine aktive Rolle ist zum Beispiel die des Tüchtigsten. In der Regel ist der Tüchtigste nicht der Beliebteste. Entweder ist der Tüchtigste ein Neurotiker, der stets seine Leistung beweisen muss, oder er hat das Verlangen, den anderen zu zeigen, was er leisten kann, und ist nicht bereit, sich in die Norm der Gruppe zu integrieren. Das kennen wir aus Schulklassen, wo die besten gerade wegen ihrer Leistung abgewertet und beleidigt werden, zum Beispiel als „Streber“. Dann gibt es die Rolle des Oppositionellen. Einem Oppositionellen passt die ganze Richtung nicht und es gibt ständig Reibereien mit der Führungsperson. Wie der Kampf ausgeht, entscheidet das Oberhaupt über seine Autorität. Folgen der Opposition können die Rolle eines Außenseiters oder Schwierigkeiten mit der Führungsperson sein.

Der Außenseiter hat die passivste Rolle. Er kennt die Gruppennormen nicht und verstößt unwissend gegen diese Regeln. Die passiven Rollen werden in der Gruppe vergeben. Der Beliebteste hat meist die höchste Kommunikationskompetenz, hohes Einfühlungsvermögen und zeigt kein Dominanzstreben. Die Mitglieder der Gruppe schütten dem Beliebtesten ihr Herz aus. Der Gruppentrottel ist demgegenüber das Gruppenmitglied mit der schwächsten Leistung in diesen Kategorien. Er biedert sich bei den anderen Gruppenmitgliedern oft an und wird deshalb als netter Kerl unter Umständen in der Gruppe akzeptiert. Der Anpasser oder auch Opportunist hat wenig Urteilsvermögen und Energiepotenzial. Er nimmt keine Position ein, wartet Führungskämpfe ab und vermeidet jede Konfrontation. Andere mögliche Typen in der Gruppe sind zum Beispiel noch Intriganten, Gerüchteerfinder oder Unruhestifter.

Menschengruppen haben einiges mit Gruppen aus der Tierwelt gemeinsam. Verliert beispielsweise ein Löwenmännchen seine Führungsposition an einen jüngeren Rivalen, scheidet das alte Männchen aus der Gruppe aus. Ähnlich sieht es bei Menschen aus. Hatten Menschen einmal eine Führungsposition und verlieren diese, fällt es ihnen schwer, sich unterhalb in der Hierarchie wieder einzuordnen. Wird ein Bundeskanzler abgewählt, geht er politisch in Rente. Ein degradierter Soldat hat mit der Schmach und Anerkennung anderer Soldaten zu kämpfen. Nicht selten scheidet er dann aus dem aktiven Dienst aus. Daher versuchen Menschen, ihre Positionen, ihren Status und ihr Prestige zu sichern und kämpfen um deren Erhalt. Diese Kämpfe/Konflikte sind hart und somit hoch emotional. Anders verhält es sich, wenn Menschen Positionen freiwillig abgeben. Das eigene Ansehen in der Gruppe bleibt bestehen und diese Menschen werden von der Gruppe weiter versorgt, geachtet, geehrt und sind als Ratgeber für die Jungen tätig.

Konflikte in der Gruppe sind normal, man kann sich ihnen nicht entziehen. Andere Menschen mit anderen Bedürfnissen, Blickwinkeln, Meinungen, Normen, Werten, Beziehungen, Wertesystemen, anderer Moral, Ordnung usw. haben Einfluss auf die Gruppendynamik. Wer sich mit Gruppen und deren Dynamik auskennt und diese versteht, kann selbst mehr Einfluss auf Gruppen nehmen und dadurch seine eigene Position und Rolle verbessern.