Manipulation

Wann und wie findet eine Manipulation statt? Wie frei sind Menschen in ihren Entscheidungen? Die Antworten auf diese Fragen sind sehr umfangreich und ich werde in diesem Kapitel lediglich einen Einblick geben können, um ein Bewusstsein für Manipulation zu schaffen.

Der Begriff Manipulation für sich ist schon manipulierend. Der Blickwinkel beziehungsweise der Standpunkt ist häufig entscheidend, welche Begriffe Menschen nutzen, um Gleiches zu bezeichnen. Prinzipiell stehen die Begriffe „Manipulation“ und „Überzeugung“ für dasselbe. Durch äußerliche Beeinflussung werden Menschen zu einer Handlung veranlasst oder bilden eine Meinung. Der Unterschied ist, dass Überzeugen positiv und Manipulation negativ konnotiert ist. Auf das eigene Agieren bezogen, ist es besser, jemanden zu überzeugen als zu manipulieren. Bei der Bewertung von (kollektiven) Fehltritten, kann man zur Einsicht gelangen, dass Menschen manipuliert worden sind. Beschreibt man sich selbst als „manipuliert“, spricht man sich für die Außendarstellung von einem Teil der eigenen Verantwortung für sein Handeln frei und beruft sich dabei auf eine eingeschränkte eigene Entscheidungsfreiheit. Damit ich hier nicht beide Begriffe verwenden muss, bleibe ich beim positiven Begriff „Überzeugung“.

Im Alter von ca. knapp drei Jahren erlangen Menschen die Fähigkeit, sich in das Denken und Handeln anderer Menschen hineinversetzten. Das ist die Grundlage dafür, andere Menschen zu überzeugen. In diesem Altersstadium fangen Menschen an zu testen, inwieweit die eigenen Überzeugungsfähigkeiten schon vorhanden sind. Kinder verstecken sich und Gegenstände, sie täuschen vor und flunkern. Dieses Verhalten setzt sich fort. Oder sie reden Eltern und Lehrern nach dem Mund, um eigene Ziele zu erreichen. Erwachsene mögen Kindern in solchen Fällen böswilliges Handeln unterstellen, dabei geht es erstrangig darum, sich auszuprobieren. Es ist sogar mehr, es ist ein Urinstinkt, der uns früher das Überleben gesichert hat. In der Schule sind Noten ein klarer Faktor, um Lehrer von unserem Wissen zu überzeugen. Ob eine gute Note auch mal durch Spicken ergaunert wurde, ist dabei Nebensache.

Man kann das menschliche Zusammenleben auch mit einem Theaterstück oder Spielfilm vergleichen. Wodurch zeichnet sich ein gutes Theaterstück oder ein guter Spielfilm aus? Die Schauspieler zeigen uns in Gestik, Mimik und Artikulation, was wir in der jeweiligen Situation von einem Menschen erwarten. (siehe das Kapitel „Erfahrung erzeugt Erwartung“). Die Schauspieler überzeugen uns mit ihrem Schauspiel und die Zuschauer nehmen dem Schauspieler seine Rolle ab. Dem gegenüber stehen die schlechten Spielfilme. Hier zeigen die Schauspieler nicht die vom Publikum erwartete Gestik, Mimik oder Artikulation.

Der Psychologe Alan Watts war der Ansicht:

Das Leben ist ein Spiel, dessen erste
Spielregel lautet: Das ist kein Spiel, das ist todernst.

Auch der Psychiater Ronald D. Laing tendierte in diese Richtung:

Sie spielen ein Spiel. Sie spielen damit,
kein Spiel zu spielen. Zeige ich Ihnen, dass ich sie spielen
sehe, dann breche ich die Regeln, und sie werden mich bestrafen.
Ich muss Ihr Spiel, nicht zu sehen, dass ich das Spiel sehe, spielen.

Der große römische Kaiser und Philosoph Marc Aurel sah das menschliche Miteinander ebenfalls als Schauspiel:

Denke stehts daran, dass alles, wie es jetzt ist, auch ehemals war,
und dann denke auch daran, dass es einst ebenso sein werde. Stelle
dir alle die gleichartigen Schauspiele und Auftritte, welche du aus
deiner eigenen Erfahrung oder aus der früheren Geschichte kennst,
vor Augen, zum Beispiel den ganzen Hof Hadrians, den ganzen
Hof Antonins, den ganzen Hof Philipps, Alexanders, des Krösus.
Überall dasselbe Schauspiel, nur von anderen Personen aufgeführt!

Vom Soziologen Eving Goffman stammt das populäre Werk: „The Presentation of Self in Every-day Life“, auf Deutsch: „Wir alle spielen Theater.“ Bleiben wir bei dieser Theorie des Schauspiels. Menschen sind Schauspieler in ganz verschiedenen Rollen, die sie mal besser und mal schlechter spielen. Werden Menschen sich dessen bewusst, ist es vielleicht einfacher, sich auf die jeweilige Rolle einzustellen (Dynamik des Augenblicks). Auch die „innere Pluralität“ von Friedemann Schulz von Thun verweist auf das Schauspiel (siehe das entsprechende Kapitel). Schulz von Thun begreift die inneren Stimmen des Menschen ebenfalls als Rollen auf einer Theaterbühne.

Überzeugen – als Schauspieler, als Vater/Mutter, Arbeitskollege, Kunde, Fahrgast, Besucher, Schüler oder Lehrer. Einfach in allen Rollen, die ein Mensch in seinem Leben spielt. Wo liegt der Vorteil dieser Strategie? Vielleicht fällt es Menschen leichter, eine Rolle zu spielen, als in einer ungewünschten Realität zu leben. Leichter, sich auf Situationen vorzubereiten, die ohne Schauspielerei schwerer fallen würden. Man kann womöglich seine Emotionen besser kontrollieren. Stellen Sie sich vor, Sie werden verbal angegriffen und nehmen die Rolle eines sich verteidigen Menschen ein – oder die des Unterwürfigen, wenn Ihnen diese Rolle besser gefällt. Als Schauspieler muss man sich in die jeweilige Rolle hineinversetzen und sie lernen, um glaubwürdig zu erscheinen. Im Angriffsfall können Sie den Blickwinkel verändern und sich in die Rolle des Angreifers versetzen. Sie werden so die Schwachstellen des anderen Menschen erkennen oder besser: die eigenen.

Natürlich gibt es Rollen, die Menschen besser, schlechter oder gar nicht spielen können. Viele Menschen versuchen ihr Leben lang ihre Defizite auszugleichen und schlüpfen dabei in Rollen, die gar nicht für sie geeignet sind. Hier liegt das Geheimnis. Schauspieler wissen um ihr Können und um ihr Sein. Der eine eignet sich besser für die Rolle eines Bösewichts, der andere ist ein guter Westernheld und ein dritter kann hervorragend einen Kommissar spielen. Nicht jeder Schauspieler kann jede Rolle übernehmen, das können nur die wenigsten. Über die Rollen, die sie dann aber hervorragend spielen, können auch solche Schauspieler erfolgreich sein, die für andere Rollen keine Eignung oder kein Talent haben. Im Leben eines Menschen ist es wichtig, die eigenen starken Rollen zu erkennen und anzunehmen. Die eigenen Stärken, das eigene Können und das eigene Sein hervorzuheben, anstatt sehr viel Energie für ungeeignete Rollen aufzuwenden und zu versuchen, jemand zu sein, der man nicht ist: Nur so kann man überzeugen. Dabei dürfte sich das Überzeugungspotenzial formelmäßig in etwa wie folgt zusammensetzen: 7 % verbale Sympathie, 38 % Stimme und 55 % Gestik und Mimik.

Zuversicht ist auch ein wichtiger Punkt. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil für einen effektiven Auftritt. Ärzte, Priester und Verkäufer überzeugen andere Menschen durch Zuversicht. Zuversichtliche Menschen erzeugen ein positives Gefühl und werden als kompetent eingestuft. Wer geht schon zu einem Arzt, der keine Zuversicht ausstrahlt? Zu einem Priester, der bei einer Beichte den Menschen nur ihre Sünden vorwirft und kein nettes Wort findet? Wer kauft bei einem Miesepeter? Wer bestellt gerne bei einem Kellner, der einem Gast lediglich mitteilt, dass die gewünschte Speise ausgegangen ist. Menschen mögen Kellner lieber, die auf ein anderes Essen hinweisen, dass sich als vorzügliche Variante erweist.

Der Ruf eilt einem Menschen voraus, daher achten Sie auch auf ihren Ruf. Wenn erst einmal ein Ruf existiert, findet man diesen immer wieder bestätigt – positiv wie negativ. Unterlassen Sie alles, was ihrem Ruf schadet. Das ist einer der Gründe, warum Amtsinhaber wiedergewählt werden. Solange nichts gravierendes falsch gemacht worden ist, also der Ruf intakt ist, experimentieren zufriedene Menschen nicht.

Die Welt belohnt öfter den Schein
des Verdienstes, als den Verdienst selbst.
François de La Rochefoucauld

Beim Übermitteln von guten und schlechten Nachrichten gibt es eine Grundregel: „Verkünden sie zuerst das Gute, dann das Schlechte.“ (Primacy-Effekt) Hat man viele Informationen, die keine bestimmte Reihenfolge bei der Mitteilung verlangen, kann man mit den Informationen variieren: zuerst das Beste, dann alles andere und zum Schluss das Zweitbeste (Recency-Effekt). Immobilienmakler präsentieren auf diese Art und Weise Wohnungen und Häuser. Zuerst wird das schönste Zimmer gezeigt, dann kommt der Rest und zum Schluss das zweitschönste Zimmer. Doch wie wirkt diese Vorgehensweise? Menschen setzen alles in Bezug zur ersten Erfahrung und bewerten mit der letzten Emotion. Denn die letzte Emotion ist prägend und permanent, weshalb diese Strategie auch Ankern genannt wird. Gut beobachten kann man das Ankern in den Medien, der Politik oder beim Handel. Menschen lassen sich schnell und gerne „ankern“. Dieses Verhalten findet unterbewusst statt. Schützen Sie sich vor dieser Strategie, in dem sie sich aktiv bewusst machen, dass es sie gibt. Ein kurzer Test zur Funktionsweise des Ankerns: Denken Sie jetzt nicht an ein rosa Kaninchen! Der Anker ist gesetzt, das rosa Kaninchen im Kopf.

Es ist für die Überzeugungskraft wichtig, eigene Kompetenz zu zeigen: „Wer Stärke will, muss aufhören sich selbst zu schwächen“. Ihre bisherigen eigenen Erfolge wurden selbstverständlich mühelos erworben. Niemand interessiert sich dafür, wie viel Arbeit wirklich dahintersteckt – Sie sind einfach ein Naturtalent. Seien Sie überzeugt von Ihrer Kompetenz. Wie will man andere Menschen überzeugen, wenn man von sich selbst nicht überzeugt ist?

Hier noch ein kleines Beispiel dafür, wie filigran Manipulation vorgehen kann. Sie kennen sicher das Sprichwort: „Kleider machen Leute.“ Ob ein Mann einen Maß- oder einen Jogginganzug trägt, macht einen großen Unterschied. Es geht aber noch detaillierter: Ein einfarbiger Anzug und eine Kombination aus Jackett und Hose in verschiedenen Farben werden unterschiedlich gewertet. Der einfarbige Anzug wird höher bewertet als die Kombination. Und wenn „Mann“ einen Nadelstreifenanzug trägt, wirkt er auf andere Menschen größer. Damit andere bestmöglich überzeugt werden, kommt es am Ende auf die Details an. Die Details machen den Unterschied, so wie zwischen Silber und Gold.

Unsere Identität wird erst durch Interaktion mit anderen gebildet. George Herbert Mead

Die Salami-Taktik ist für die meisten Menschen eine unbewusste Überzeugungsstrategie. Es werden Informationen scheibchenweise weitergegeben. Am Ende sind Menschen überzeugt, weil Stück für Stück, wie Salamischeiben, Zugeständnisse abgerungen wurden. Am Ende glaubt jeder, dass es die eigene Entscheidung war. Mit der Salami-Taktik arbeiten häufig Chefs, die ihren Arbeitnehmern langsam immer mehr Arbeit geben und deren Arbeitsfeld langsam verändern oder erweitern. Oder auch Politiker, die Gesetze langsam und in Teilschritten, aber letztendlich vollständig durchsetzen. Wer „A“ gesagt hat, kann nicht mehr zurück und sagt auch „B“.

Ein weiterer Faktor für die Überzeugen ist die Relation. Wenn ein Kind um 100 € bittet, wird unsere Antwort ein Nein sein. Wird dann in einem zweiten Versuch der Betrag auf 5 € reduziert, geben wir wahrscheinlich der Bitte nach, die gemessen an der ersten auf relativ wenig abzielt. Diese Strategie funktioniert natürlich auch im größeren Rahmen. Nachdem zunächst ein Schreckensszenario an die Wand gemalt worden ist, akzeptieren Menschen die tatsächliche Situation besser, wenn sie in abgeschwächter Form als kleineres Übel eintritt. Dies gemäß dem Motto, dass man noch einmal relativ gut davongekommen ist.